DIE VENETIANER-BRÜDER

Zur Erinnerung an György Vadász[1]

 

András Kövér

DIE VENETIANER-BRÜDER

„OBERRABBINER, KALVINISTISCHER PASTOR UND KATHOLISCHER PRIESTER”

 

Vorgeschichte und Geschichte einer aus Mähren stammenden jüdischen Familie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts[2]

 

 

 

In der Anfangsphase meiner Forschungen besuchte ich in meinem Leben zum ersten Mal die Bibliothek des (Budapester) Rabbinerseminars, um mich nach Werken von Lajos Venetianer zu erkundigen. Durch einen Zufall traf ich dort Oberrabbiner Prof. József Schweitzer, der hörte, wonach ich suchte. Bereitwillig kam er mir zur Hilfe und brachte mir die Bibliographie von Lajos Venetianer. Von da an nannte er mich meistens Venetianer.

In meinem Aufsatz handelt es sich um die Geschichte einer jüdischen Familie, die in dem 19. Jahrhundert in Ungarn lebte. Am meisten beschäftige ich mich mit einem Mitglied dieser Familie, Alexander Venetianer, der als Jude geboren war, und als 20-Jähriger Christ wurde.

 

Einleitung: Der Ursprung der Venetianer-Familie

 

Zu dem ersten Teil meiner Forschung (der Ursprung der Familie) benutzte ich folgende Quellen: Geburts- und Heiratsurkunden; Grabstein-Inschriften und Konskriptionen der Juden, ferner ein wichtiges, aber paradoxerweise sehr unzuverlässiges Buch über die jüdischen Familien in Ungarn.[3]

Nachdem Leopold I. gegen 1670 die Juden aus Wien und Nieder-Österreich vertrieb, wuchs die Zahl der in Böhmen und Mähren lebenden Juden. Prag wurde Ende des 17. Jahrhunderts die größte aschkenasische[4] Gemeinde in Europa.

1726 hatte eine Verordnung des Kaisers Karl VI. in der „böhmischen Krone”  (Böhmen, Mähren, Schlesien) eine neuere Migration – nunmehr in andere Richtung – zur Folge.[5] In jeder jüdischen Familie durfte nur ein Junge, der älteste Sohn, heiraten. Infolge dessen kamen viele jüdische Jungen aus Mähren und Böhmen nach Ungarn (besonders Nord-Ungarn), um eine Familie zu gründen.

So kam Szender Venezia, der Urvater der Venetianer-Familie von Mähren, vielleicht aus Holešov (Holleschau), nach Liptószentmiklós (Liptovský Mikuláš).[6] Aus Holešov wanderten schon ab 1720 viele jüdische Jungen nach Liptovský Mikuláš aus.[7]

Einen Teil der biographischen Daten der Venetianer-Familie kann man in dem bereits erwähnten Buch über die jüdischen Familien in Ungarn finden. Laut diesem Buch ist Szender Venezia mit einem gewissen Icik Löb Chajit[8] identisch. Aufgrund anderer Daten und Dokumente (Geburts- oder Heiratsurkunden) können wir sagen, dass dies wahrscheinlich falsch ist, und Icik Löb Chajit ein Sohn von Szender Venezia gewesen sein muss.[9] Auch die anderen Daten über die Venetianer-Familie sind in diesem Buch recht unzuverlässig.

Dieser Szender Venezia war 1830 in Liptovský Mikuláš gestorben. Sein Grabstein existiert noch auf dem jüdischen Friedhof” – können wir in demselben Buch von 1937 lesen.[10] Es wäre sehr gut, wenn wir uns diesen Grabstein noch heute anschauen könnten, der Friedhof wurde jedoch beseitigt. Vor der Einebnung machte man Fotos über die noch vorhandenen Grabsteine, und diese Fotos werden in Pressburg (Bratislava, Pozsony) bei der jüdischen Gemeinde aufbewahrt. Tom Venetianer (aus Saõ Paulo) hat versucht, das Foto über den Grabstein von Szender Venezia in Pressburg zu besichtigen, er hatte aber keinen Erfolg. Es scheint, als würde dieses Foto nicht existieren. Vielleicht war der Grabstein von Erde verdeckt, oder er lag mit der Inschrift nach unten auf dem Boden. Möglicherweise war er zu schmutzig oder von Witterung und Zeit so stark beschädigt, dass man den Text nicht mehr lesen konnte. Auch daraus ist ersichtlich, wie schwierig es ist, anhand der Grabstein-Inschriften zuverlässige Daten aus dieser Epoche (zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts) zu bekommen.[11]

Es gibt eine andere Möglichkeit, Informationen über jüdische Familien zu erhalten. Im 18. Jahrhundert hatten schon mehrere Konskriptionen der Juden[12] in Ungarn stattgefunden, entweder zwecks des Zensus, oder darum, dass die Regierung die Toleranzsteuer,[13] welche die Juden zu entrichten hatten, präziser bestimmen konnte. Aber auch diese Daten sind sehr problematisch, und lassen sich nur vorsichtig verwenden. Weil die meisten Juden in jener Zeit keinen Familiennamen hatten, waren solche jüdischen Namen wie z. B. Isac ben Abraham (’Isac, Abraham’s Sohn’) typisch. Damit ist es praktisch unmöglich, die Familienverhältnisse zu verfolgen. Erst Kaiser Joseph II. wird Ende des 18. Jahrhunderts die Juden verpflichten, einen deutschen Familiennamen aufzunehmen.

So wurde Liptovský Mikuláš der Stammsitz der Venetianer-Familie in Ungarn. Im 19. Jahrhundert war diese Stadt eine wichtige Hochburg der jüdischen Wissenschaften.[14]

Die ersten drei Generationen der Venetianer-Familie (Szender, Isak, Abraham) lebten in Liptovský Mikuláš, die beiden letzteren als arme Schneidermeister. Die vierte Generation (Albert) war auch am Stammsitz geboren, wirkte aber in Fadd, Süd-Ungarn (in der Nähe der Donau), als Rabbiner. Seine ersten Kinder waren hier geboren. Sein erstes, Alexander (Sándor), 1853; der zweite Sohn, Adolph, sechs Jahre später. Als Alexander neun Jahre alt war, siedelte die Familie nach Kecskemét um. Kecskemét liegt in der Mitte Ungarns, auf der Großen Ungarischen Tiefebene. Hier war Albert Venetianer als Vize-Rabbiner oder Dajjan tätig.[15] Der dritte Sohn, Ludwig (Lajos) (1867), der Oberrabbiner wurde, war schon hier geboren. Albert hatte insgesamt sieben Kinder (drei Söhne und vier Töchter).

 

Alexander Venetianer (1853–1902), der kalvinistische Pastor

 Die Jugendzeit von Sándor Venetianer, die Gründe für seinen Übertritt[16]

 

Der Rabbi-Vater Albert wollte seinen ältesten Sohn, Alexander, zu einem Rabbiner machen. So stellt sich die grundlegende Frage, was mit Alexander passierte, und warum er der Religion seiner Väter den Rücken kehrte.

Die authentische Antwort auf diese Frage erhalten wir aus seiner kurzen Autobiographie. Diese schrieb er in lateinischer Sprache als er 23 Jahre alt war. Diese Zeilen sind die wichtigste Quelle über das Leben des jungen Alexander Venetianer.[17]

Im Voraus kann ich sagen, dass die Ursachen seines Konvertierens am ehesten psychologischer Natur sind, und sein Vater, Albert, die größte Verantwortung trägt. Sehen wir uns die wichtigsten Details der Autobiographie an.[18]

Der Autor hat negative Erinnerungen daran, was in der Talmud-Schule die wichtigste Rolle spielte:

Nicht Moses, nicht die Propheten, auch nicht die Flehen versöhnen das Gott. Tag und Nacht bei den Füßen der Rabbiner zu sitzen: das ist der einzige Weg zum Heil! (CV, 2)[19]

Es kam zu einem bemerkenswerten Zwischenfall auf dem Markt, als Alexander Venetianer 13–14 Jahre alt war:

Damals passierte es, daß ein Markt in unserer Stadt war, den auch mein Vater mit meinem Hauslehrer besuchten, und auch mir wurde erlaubt, sie zu begleiten. In dem Markt kaufte mein Vater ein Büchlein auf hebräischer Sprache,[20] darüber er auf dem Heimweg mit meinem Lehrer sprach, durchblätternd seine Seiten. Dann hörte ich das Wort Messias wieder. Als ich mich erkundigte, hielt mein Vater bei der Mitte des Wortes an,[21] und antwortete streng, daß es überhaupt nicht meine Sache sei, und er versteckte das Büchlein sofort.

Aber meine Neugierigkeit wurde aufgeweckt. …

In kurzer Zeit kam ein Bibel-Verkäufer in unsere Stadt. Weil ich damals französisch lernte, um etwas zu haben, das ich leicht lesen kann, kaufte ich eine französische Bibel.

Sofort war ich über die Namen des Alten- und Neuen Testaments überrascht, besonders der Name des Neuen Testaments verwunderte mich sehr, das ich bisher auch dem Namen nach nicht kannte. Ich staunte, daß ich nie darüber hörte, und auch nicht las, obwohl ich glaubte, daß es ein jüdisches Buch ist. Ahnungslos nahm ich in die Talmudschule mit, und fragte bei meinem Lehrer nach. Er aber, nachdem er das Buch von mir wegnahm, verbot mir am strengsten, solches irgendwann zu lesen.

Die verbotenen Dinge ziehen an![22]… Dann bewarb ich ein anderes Exemplar, und begann ich eifrig zu lesen. (CV, 2–3)

Einmal hatte Alexander eine andere Auseinandersetzung mit seinem Vater:

Es war Winter, und an einem Samstag, als ich mich in das Gymnasium eilte, und die nötigen Bücher in meiner Hand mitbrachte, sah mich mein Vater, und fragte: ‘Weißt du nicht, daß man am Samstag gar nichts mitbringen darf?’ ‘Natürlich ja – antwortete ich –, aber ohne Bücher weder wage, noch darf ich in die Schule gehen.’ Darauf sprach er so: ‘Trage die Bücher dann mindestens unter deinem Mantel, daß die Leute sie nicht sehen!’

Ich war gehorsam, aber gleich kehrte ich den Rücken den talmudischen und menschlichen Dogmen.[23] (CV, 3)

Hier noch ein Disput mit seinem Vater, der in einem Nachruf über Alexander Venetianer nachzulesen ist. (Autor ist einer der Freunde):[24]

(Alexander Venetianer) erzählte mir, dass er als siebenjähriges Kind mit seinem Vater den Talmud las und lernte. Frühmorgens stand er auf, und prägte sich ausgesuchte Passagen ein. – ‘In meinem Leben aber war mein 15. Lebensjahr die Wende. Einmal wollte mein Vater mit mir eine auf Haarspalterei ausgerichtete, spitzfindige Talmudthese mittels Kreuzfragen auseinandernehmen. – Diese rituellen Kleinigkeiten ärgerten mich, empörten mich maßlos, und ich sprang vor dem Auge meines Vaters von dem Talmud auf, und sagte, dass ich nicht mehr Talmud lerne. Zwischen mir und ihm tat sich ein Spalt auf. …’

Welche Folgen hatte dieses Verhalten von Alexander Venetianer, der damals erst 15 Jahre alt war?

Meine Seele war längere Zeit gestört, sogar geriet ich mit mir selber in Konflikt. Die Lehre meiner jüdischen Lehrer verwarf ich, aber ich empfing Gottes Wort noch nicht, weil ich die Schrift noch nicht verstand.

… ich mußte das Haus meines Vaters verlassen, weil er sah, dass ich mich den talmudischen Lehren entfremdete …[25] (CV, 3)

So wurde Alexander, der älteste Sohn, aus der Familie verstoßen, als er nur 17 Jahre alt war. Der Verstoßene wird im Judentum als ein Toter angesehen, die Familie trauerte um ihn.[26]

Nachdem er verjagt wurde, fuhr er von Kecskemét nach Pest. Dort traf er einen Missionar, Schönberger genannt, der zuerst bei der schottischen, dann bei der britischen Mission arbeitete. Diese Missionen und auch die deutsche Mission konzentrierten sich bei ihrer Arbeit auf die Juden. Das ist die sogenannte „Judenmission”. Die Mitarbeiter waren meistens jüdischer Abstammung und zum christlichen Glauben übergetreten. Danach beschäftigten sie sich eifrig mit anderen Juden, um auch sie für Christus zu gewinnen. Dieses Treffen mit dem Missionar Schönberger war eines der wichtigsten im Leben des damals 17-jährigen Alexander Venetianer. So schreibt er in seiner Autobiographie:

Schönberger las mit mir die Propheten zusammen mit den Evangelien und den Aposteln durch. Dann lebte ich auf einer neuen Erde und in einem neuen Himmel! Für mich wurde wirklich neu das Alte Testament. (CV, 3)

Letztlich hatte er kein Geld mehr, und so musste er Pest verlassen. Er lehrte in einer jüdischen Schule in einem Dorf,[27] und hielt mit Schönberger über Briefe Kontakt. Eines Tages fiel den Leitern der Schule ein Brief von Schönberger in die Hände und sie lasen ihn. Um sein Leben zu retten, musste Alexander sofort fliehen.

Er kehrte in das Haus seiner Eltern zurück. Sein Vater empfing ihn herzlich – wie einen „verlorenen Sohn”, der nach Hause zurückkehrt. Aber nur einige Tage durfte er zu Hause bleiben, weil sein Vater dann meinte, dass sein Sohn noch immer im Irrtum lebte, und vertrieb ihn von zu Hause endgültig. Ohne Geld konnte er nicht wegreisen. Der Direktor des kalvinistischen Gymnasiums half ihm, so konnte er bei einer kalvinistischen Familie als Hauslehrer tätig sein. Dies verschaffte ihm die Möglichkeit, das Abitur abzulegen.

 

Seine Universitäts-Studien

 

Nach dem Abitur reiste er nach Wien, und begann an der Universität Philosophie, orientalische Sprachen und sogar Naturwissenschaften zu studieren. Aber er fand keine Freude an den weltlichen Wissenschaften (ausgenommen die Sprachen). Sein Herz ruhte allein in der Heiligen Schrift. Zwei Jahre nach dem Abitur konnte er Schönberger wieder persönlich treffen, der jetzt in Prag arbeitete. Monatenlang kämpfte Alexander Venetianer mit seinen Zweifeln. Erst dann ließ er sich dort, in Prag taufen. Er wurde Kalvinist, und endgültig entschloss er sich, die „Heiligen Wissenschaften” zu studieren.

An der Wiener Protestantischen Theologischen Akademie hatte Eduard Böhl, Professor der Theologie, den größten Einfluss auf Alexander Venetianer. Über seinen Professor schrieb er schwärmerisch in seiner Autobiographie:

Diesem Manne danke ich meist, aus Gottes Gnade. Er leitete mich zu dem wirklichen Hungern und Dursten der Wahrheit, er zeigte mir die Wunder des Wortes und die volle Weisheit des Herrn. (CV, 4)

Böhl war teils deutscher, teils niederländischer (flämischer) Abstammung. Seine Mutter war katholisch, sein Vater lutherisch. Erst als Erwachsener wurde er Kalvinist.

Inzwischen studierte Alexander Venetianer zwei Semester in Basel, wo er sich mit der Heiligen Schrift und orientalischen Sprachen beschäftigte. Aber er wollte so schnell wie möglich nach Wien zurückkehren.

Nach einem (Studien)Jahre kehrte ich aus Basel zurück, brennend von der Sehnsucht, wieder bei den Füßen jenes Böhls sitzen zu können. Ich sage Dank, und auch werde es dem Gott sagen, weil ich von diesem Manne wieder ein Jahr und sechs Monate lang habe lernen können. (CV, 4)

Im Wintersemester 1876/1877 beendete er die Theologie in Wien. Früher hatte er sich entschlossen, seine sogenannten priesterlichen Prüfungen in Ungarn, in Debrecen abzulegen. Seine Absicht war, dass er in Ungarn als Pfarrer arbeiten wird. Debrecen war und ist das wichtigste Zentrum der ungarischen Kalvinisten. Die Stadt heißt auch das kalvinistische Rom.[28] Böhl bat seinen guten Freund, Ferenc Balogh, den berümten Professor der Theologie in Debrecen, seinem Studenten Alexander Venetianer zu helfen. Alexander schrieb sein Curriculum Vitae für Professor Balogh, um sich vorzustellen. Er war aufrichtig, wollte seine jüdische Abstammung nicht verheimlichen. Er schrieb seine Autobiographie auf Latein, weil man damals die lateinische Sprache in akademischen Kreisen gut kannte, und vielleicht wollte er nicht, dass es inkompetente Leute lesen konnten. Professor Balogh wurde für Alexander Venetianer zu einem väterlichen Freund. Viele Jahre schrieben sie sich Briefe. Balogh wechselte Briefe mit fast allen bedeutenden Theologen der Welt. Die an Balogh gerichteten Briefe wurden in der Großbibliothek des Reformierten Kollegiums in Debrecen aufbewahrt. Diese Briefe – heute eine bedeutende Quelle der Forschung – machen insgesamt viele laufende Meter aus. So blieben auch 33 Briefe von Alexander Venetianer erhalten und noch andere Briefe von mehreren ungarischen oder ausländischen Theologen, die im Leben von Alexander Venetianer eine wichtige Rolle spielten (z. B. auch die Briefe von Eduard Böhl). Aus diesen Briefen von Alexander Venetianer (und anderen Theologen) kann man viele wesentliche Beiträge über sein Leben erfahren.

 

Der Autor, András Kövér ist der Urenkel von Alexander Venetianer.

Die ganze Schrift ist hier erreichbar.

über A. Venetianer in ungarischer Sprache

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[1] György Vadász (1924–1997) war ein Sohn von Katalin Venetianer und Enkelkind von Alexander Venetianer. Er war Graphiker, Typograph, Numismatiker. In den letzten rund zwanzig Jahren seines Lebens erforschte er intensiv die Venetianer-Familie, besonders Alexander Venetianer. Den Anstoß zu seiner Forschung gaben die vielen Briefe, die seine Mutter hinterließ. Diese schrieb er mit der Maschine ab, systematisierte sie, legte Erklärungen und zeitgeschichtliche Hinweise bei. Er wechselte erfolgreich Briefe z. B. mit Wien, Stuttgart, Novi Sad, um weitere Daten über die Venetianer-Familie zu bekommen. Er beschäftigte sich besonders mit dem Zeitraum 1850–1945. Das Ergebnis seiner Arbeit füllt mehrere dicke Dossiers. Ich traf György Vadász dank eines Zufalls zuerst 1990. Er war Cousin meiner Mutter. Damals erforschte ich die Venetianer-Familie mit wechselndem Elan schon ungefähr zehn Jahre. Wir teilten unsere Kenntnisse, unterhielten uns regelmäßig und lange über verschiedene Probleme. Weil unser Interesse sonst verschieden war, ergänzten wir einander sehr gut.

[2] Die deutsche Übersetzung entstand dank Domokos Szabó, einem Ururenkel von Sándor Venetianer. Ursprünglich war es eine Vorlesung mit Powerpoint-Projektion an der Olmützer Universität (Olomouc, Tschechische Republik) am 14. November 2006 auf Deutsch. Diese Studie ist in gekürzter Form (unter anderem ohne das CV von Sándor Venetianer auf Latein) unter Kövér 2012 zu finden. Dr. Kálmán Tóth (Professor der Kalvinistischen Theologischen Akademie Ráday) studierte als erster die Biographie und Tätigkeit von Alexander Venetianer 1960. Professor Kálmán Tóth beschäftigte sich mit seinem Auftrag ernst, forschte vielen Sachen gründlich nach, aber er musste seine Arbeit abbrechen, weil die kirchengeschichtliche Zeitschrift, in der sein Aufsatz abgedruckt werden sollte, sein Erscheinen einstellte. Sein wertvolles Manuskript (Tóth 1960) schenkte er mir 1990.

[3] Kempelen 1937–39.

[4] Juden, die aus Deutschland oder Nordost-Frankreich stammen. Die sephardischen Juden sind dagegen spanischer Abstammung.

[5] Venetianer L 1986, 70 (Der Kaiser Karl VI. regierte in Ungarn als König Karl III.); McCagg, 1992, 18. (Das Datum in diesem Buch ist fehlerhaft 1736.)

[6] Die Herkunft aus Holešov ist nur eine Annahme ohne jeglichen Beleg. Szender ist eine jiddische Form von Alexander, Venezia ist der Name der berühmten italienischen Stadt. Vielleicht oder warscheinlich kam diese Familie ursprünglich aus Venedig.

[7] In Holešov gibt es ein sehr alter jüdischer Friedhof. Der älteste, bis heute erhalten gebliebene Grabstein des Friedhofs stammt von 1647. Hier kann man auch den Grabstein eines berühmten Rabbis, des 1662 gestorbenen Sabbataj Kohen (Sabbataj b. Meir ha-Kohen) sehen, der kurz auch Schach genannt wurde. Er schrieb einen der wichtigsten Kommentare, Sifte Kohen zum Schulchan Aruch (genauer gesagt zu dessen Teilen Hoschen Mischpat und Jore Dea). (Heřman s.a., 79. Bild).

[8] Siehe Kempelen 1937, 29–30. Chajit bedeutet ’Schneider’ auf Hebräisch; Icik ist der Kosename von Isak.

[9] Entsprechend der Theorie meines Verwandten Tom (Tomáš) Venetianer. Er ist ein Cousin vierten Grades meiner Mutter und wurde in Kassa (Košice) geboren. Seit seinem achten Lebensjahr lebt er in Brasilien, Saõ Paulo. Er hat sich sehr viel mit der Geschichte der großen Venetianer-Familie beschäftigt. Ich konnte – wieder durch einen Zufall – 1998/99 Kontakt mit ihm aufnehmen. Besonders in den ersten Jahren standen wir in intensivem Brielwechsel über die Venetianer-Familie.

[10] Kempelen 1937, 29.

[11] Die Angaben über den Grabstein von Szender Venezia stammen von Tom Venetianer.

[12] Tom Venetianer machte mich darauf aufmerksam, und aufgrund seiner Vorschläge forschte ich auch im Archiv. Es gab Landes- und auch Komitatskonskriptionen, aus verschiedenen Jahren und mehrmals mit verschiedenen Resultaten, weil es im Interesse der Komitate war, die Juden zu „verheimlichen“, dass nur sie die Juden besteuern.

[13] Im Jahre 1746 führte Maria Theresia die Toleranzsteuer ein, die sowohl die Anzahl der Juden als auch ihre Einkünfte in Betracht nahm. So ist es verschieden von der vorigen Kopfsteuer, die nur von der Anzahl abhing.

[14] Auch der berühmte Wissenschaftler, Wilhelm Bacher wurde hier geboren, war aber später nicht hier, sondern in Budapest tätig.

[15] Dajjan bedeutet: rabbinischer Richter, Mitglied des rabbinischen Gerichts.

[16] Vornehmlich stütze ich mich auf seine Autobiographie, die er im Alter von 23 Jahren auf Latein schrieb.

[17] Die Original-Handschrift (Venetianer 1876 / CV) habe ich 1989 von Dr. András Vincze in München bekommen. Er ist ein Sohn von Frigyes Venetianer [Vincze] und ein Cousin meiner Mutter. Die Söhne von Sándor Venetianer haben ihren Namen in Vincze ungarisiert. Sándor Venetianer selbst behielt den Namen Venetianer bis ans Ende seines Lebens, obwohl zum Beispiel das Jüdische Lexikon (Zsidó lexikon 1929, 945) irrtümlicherweise das Gegenteil behauptet. Die Autobiographie und ihre deutsche Übersetzung kann man in dem Appendix finden. Siehe noch die erste Fußnote in der Übersetzung. Die Studie ist auf Ungarisch zusammen mit der ungarischen Übersetzung der Autobiographie unter  http://izrael-immanuel.net/dokumentumok/a_venetianer_fiv%C3%A9rek.pdf abrufbar.

[18] In jener Zeit war es im Kreis der neolog orientierten Juden, dass jüdische Jungen gleichzeitig sowohl in einer Talmud-Schule (Jeschiwa) als auch in einem christlichen Gymnasium lernten, um auch weltliche Kenntnisse zu erwerben. So lernte Alexander Venetianer zunächst im piaristischen und dann im kalvinistischen Gymnasium von Kecskemét.

[19] Wenn ich aus der lateinischen Autobiographie von Alexander Venetianer zitiere, schreibe ich nach dem Zitat CV (Curriculum vitae).

[20] Joseph Poór (kalvinistischer Pastor) schrieb in seinem Nekrolog über Alexander Venetianer (Poór 1902, 59) das Folgende: „Auf dem Markt kauften sein Vater und auch der jüdische Lehrer ein hebräisches Neues Testament.”

[21] Es ist so in dem lateinischen Text. Wenn Alexander Venetianer die logischer scheinende Formel (er ließ mich anhalten) hätte schreiben wollen, machte er dann einen grammatischen Fehler.

[22] Wörtlich: Nach dem verbotenen Dinge streben wir!

[23] Eine ähnliche Geschichte (ein nicht wörtliches Zitat aus der Mischna, Traktat Pesachim 6,1): Am Sabbat ist es möglich, das Pesachopfer zu bereiten. Man fragte Hillel, den Älteren: Was tun, wenn man das Messer am Sabbat Abend zu vorbereiten vergisst?” (Es gibt nämlich den Sabbatsverbot, dass man nichts tragen darf.) Hillel: Lasse es für Israel! Wenn sie keine Propheten sind, doch sind sie noch Söhne der Propheten. Das bedeutet: Warten wir bis morgen, und wir werden sehen, was das Volk machen wird (und wir folgen dem Brauch des Volkes.) Morgens steckte das Volk das Messer in den Pelz des Opferlammes. Ein grundsätzlicher Unterschied: Alexander Venetianer selbst musste die Bücher heimlich mitbringen, hier aber trugen die Lämmer die Messer, nicht die Leute.

 – Ein entsprechendes Talmudzitat dazu [nach Venetianer L 1913, 32 oder Venetianer L 2003, 64]: „Was verboten wurde öffentlich zu tun, des äußeren Scheines halber, das darf selbst am verborgensten Orte auch nicht getan werden.” (bSabbat 146b – Ludwig Venetianer gibt fehlerhaft die Seite 34b an) (Die Verbote wegen des Scheines sind nur da, damit ein Außerstehender nicht fehlerhaft denke, dass jemand eine verbotene Sache durchführt.) So gestattet der Talmud auch im Fall der leichteren („des äußeren Scheines halber”) Verbote die Durchführung einer öffentlich verbotenen Handlung selbst am verborgensten Orte nicht. Daraus folgt, dass das Übertreten des Verbots am verborgensten Orte im Fall der strenger Verbote (z. B. Sabbat-) um so mehr nicht gestattet ist. Obwohl der Vater seiner Absicht nach den Talmud verteidigen wollte, widerlegte er aber die talmudische Logik und Gesetze mit seinen Worten und Handlungen, und so erreichte er das erwünschte Ziel nicht. Es ist kein Zufall, dass sein Sohn, Alexander, unter diesen Umständen in eine schwierige seelische Krise gelangte.

[24] Poór 1902, 59.

[25] Eine andere Meinung aus dem Talmud: „Die Schule R. Ismaels lehrte: Milde Gesinnung befiehlt die Thora auch gegenüber dem abtrünnigen Bruder. Weil er hinging und sich dem Götzentum verkaufte, dürfte ich dem Fallenden einen Stein nachwerfen? Nein, denn es ist gesagt worden [siehe Lev 25,48]: Auch nachdem er sich verkauft, selbst wenn er Priester des Götzen geworden ist, soll ihm Auslösung [hebräisch: geula] gestattet sein.” (bKidduschin 20b)

[26] Ludwig Póth (kalvinistischer Pastor in Szabadka/Subotica) schreibt in seiner Erinnerung an Alexander Venetianer Folgendes: „…Juliánna Ölschléger erzählte mir, dass die Venetianer-Schwestern noch in Kecskemét zu ihnen zu nähen kamen, und einmal erschienen sie in Trauerkleidung. Sie trauerten um ihren Bruder, Alexander, weil er die Religion seiner Ahnen verließ. So ist er für sie gestorben.” (Póth 1989, 69)

[27] Körösladány.

[28] Die ungarische kalvinistische Kirche war ehemals (Ende des 18. Jahrhunderts) die Mutterkirche auch der mährischen Kalvinisten. Alexander Venetianer schrieb auch einen Artikel darüber. Siehe Venetianer 1878.

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